Aus der Kindheit

Unsere Familie wohnte in der Wenzelgasse 182. Das Haus war zum grössten Teil aus Holz gebaut, die Stuben niedrig, die kleinen Fenster nur ein wenig über Strassenhöhe, weil die Strasse bei der Pflasterung aufgeschüttet worden war. Hinter dem Haus ein geräumiger Hof  und Garten, mitten dazwischen ein Blumengarten mit Sommerlaube und Springbrunnen, auch ein Fischbasain, im Obstgarten eine Schiessbude für uns Kinder - Herz, was willst du mehr! Gesellschaft gab es genug, denn alle Nachbarkinder kamen zu uns, da herrschte reges Treiben und Freiheit, und war der Lärm auch manchmal toll, und trieb sie Mutter Sitten einmal hinaus - nach einer Weile kamen sie wieder und es begann von Neuem.
    Kaum war der jüngste Spross (Josef) 9. 7. 1914 angelangt, brach der Weltkrieg (1914 - 1918) aus. Onkel Josef, Mutters jüngster Bruder, diente als einjährig Freiwilliger in Theresienstadt und ging an die Front ab. So konnte er seine Jura - Studien nicht mehr beenden. Mit dem andauernden Krieg kam auch bald die Lebensmittelknappheit, manchmal auch der Hunger. Der Vater, Wilhelm Sitte, arbeitete als Schmied in der Clam Gallasschen Bergwerkschmiede in Görsdorf. Hie und da verteilte die Werkleitung zusätzliche Lebensmittelrationen an die Arbeiter, die wir Kinder gerne abholten. Da  gab es Erbsen, Linsen, Hirse, getrocknete Pflaumen und manches andere. Wir gingen auch manchmal über die nahe Grenze paschen, denn in Sachsen gab es immer noch einiges, was bei uns nur schwer zu haben war.
    Unsere Grossmutter Anna Rohn, geb. Posselt, hatte einen Milchhandel. Sie fuhr täglich mit dem kleinen Pferd „Bubi“ nach Weisskirchen, wo sie bei den Bauern Milch abholte, die sie dann in Dönis und Grottau verkaufte. Wir Kinder fuhren gerne mit ihr, fuhren auch manchmal zu 2 oder 3 allein. Die Milchkannen waren oft sehr schwer und der Weg zum Wagen weit, aber wir fürchteten uns nicht, auch wenn wir uns die Arme beinahe ausrenkten.
Manche Schulstunde wurde geschwänzt, wenn wir für die verhinderte Grossmutter, später unsere Mutter einsprangen. Die Grossmutter konnte eines Tages nicht mehr - und die Mutter übernahm den Milchhandel. (Ab 1924 bezog sie die Milch von Ullersdorf).