Wie ich einen Hirtenbrief gelesen habe

Am Fronleichnamssonntag sollte ein Hirtenbrief verlesen werden, der u. a. die von politischer Seite ins Leben gerufene „Actes catholica“ verurteilte. Ihr Zweck war, den Eindruck zu erwecken, als unterstützten Gläubige und Geistlichkeit die kulturpolit. Maßnahmen der Regierung. Das Sprachrohr dieser Bewegung waren die nach Verbot der bisherigen kirchl. Presse ins Leben gerufenen „Katolické noviny“ (Katholische Zeitung").
Ich war an diesem Sonntagsmorgen gerade mit dem Aufstellen eines Fronleichnamaltares vor der Pfarrei beschäftigt, als ein Auto vor der Pfarrei vorfuhr. Ihm entstiegen 3 Herren vom Okr. nár. výbor (Bezirksnationalausschuß) in Kaaden. Da ich im Arbeitsanzug war, beachteten sie mich nicht weiter, sondern gingen in die Pfarrei. Nach einer kleinen Weile kamen sie wieder heraus - und nun zu mir. Sie hätten mit mir zu sprechen. Es entwickelte sich ungefähr folgendes Gespräch, zuerst draußen, dann  weiter in der Pfarrkanzlei (natürlich tschechisch): „Herr Pfarrer, wir kommen zu Ihnen…“ „Das ist gut, ich habe viel zu tun und kann ein paar Helfer brauchen..“ „Wir müssen mit Ihnen sprechen,  es geht um eine sehr ernste Sache.“ „Heute, am Sonntag? Heute sind ja keine Amtsstunden. Kommen Sie ein anderes Mal!“ „Machen Sie keine Narren aus uns, Sie wissen ja, warum wir hier sind.“ „Na ja, ich ahne es.“ „Also, kurz gesagt: Sie sollten heute den Hirtenbrief lesen – und Sie werden ihn nicht lesen. Es wurde ein Abkommen zwischen der Kirche und dem Staat abgeschloßen und der Hirtenbrief wurde als belanglos zurückgezogen.“

Die Regierung hatte bei den bischöfl. Konsistorien státní zmocněnce (Staatliche Beauftragte) eingesetzt und der Prager „zmocněnec“ (Beauftragte) hatte die Verlesung des Hirtenbriefes verboten. Ich erklärte dieses Verbot als kraftlos und weiterhin, dass ich den Hirtenbrief verlesen würde. Sie verlangten seine Herausgabe, was ich ablehnte. Ihre Antwort war: „To si odnesete.“ ( Das kommt Ihnen teuer zu stehen.) Sie fragten mich ferner, ob ich die kathol. Aktikon anerkenne. „Nein.“ „Wissen Sie, dass schon 150 Geistliche den Aufruf der K. A. unterschrieben haben?“ Meine Gegenfrage: „Wissen Sie, dass 6 - 9 Geistliche unterschrieben sind, die schon gestorben sind?“  Sie machten ein langes Gesicht und sagten: „To nevíme.“ (Das wissen wir nicht.)  Nach einigen Hin und Her fuhren sie wieder ab. Nach ca ¾  Stunde kam der velitel SNB (Gendarmeriekommandant) zu mir.
    Man hatte ihm vom okres (Bezirk) telefoniert, er solle noch einmal versuchen, mich umzustimmen. Er sagte mir, vorläufig solle noch keine Gewalt angewendet, sondern nur die Entwicklung beobachtet werden. Ich las also den Hirtenbrief vor. Der Gendarm war in der Kirche zugegen, ebenso als Beobachter der Gemeindesekretär. Die Sache hatte dann noch ein Nachspiel. Am 27. 10. 1949 abends erschienen bei mir 3 Herren, von denen sich der eine als Prokurator aus Karlsbad vorstellte. Sie teilten mir mit, ich sei wegen Verlesens des Hirtenbriefes (ohne mein Wissen oder Verhandlung) zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden und solle nun ein Amnestierungsgesuch einreichen. (Die Zahl der Geistlichen, die in der gleichen Situation waren, war nämlich sehr groß, sodass man sie nicht alle einsperren konnte, was auch nicht beabsichtigt war. Deshalb hatte Präsident Gottwald eine Amnestie erlassen). Ich brachte ihnen meine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Bischöfe das Pflicht hatten, für die Freiheit der Kirche zu kämpfen und dass ich in der Verlesung des Briefes keine staatsfeindliche Haltung erblicke. Dieses betonte ich auch dann in dem Gesuch um Amnestierung, dass ich auf vieles Dringen der 3 Herren schließlich einreichte.
Nach einiger Zeit wurde ich dann vom Bezirksgericht in Kaaden vorgeladen, wo mir ein Richter die erfolgte Amnestierung zur Kenntnis brachte (mit 1 Jahr Bewährungsfrist). In der Folgezeit und schon vorher wurden die kirchlichen Schulen geschlossen, die kirchl. Presse eingestellt, Vereine aufgelöst etc. Der Bischof „verzichtete“ auf die Herausgabe der Ordinariatsblattes.