Im Seminar 1929

In Leitmeritz herrscht infolge seiner Lage verhältnismäßig mildes Wetter. So genoßen wir lange in den Herbst hinein unsere wöchentlichen Ausgänge voll und ganz. Im Herbst 1929 war eine reiche Obsternte. Die Bauern konnten den Segen nicht bergen, besonders blieben viele Birnen ungepflückt. Mit Erlaubnis der Grundbesitzer trugen wir daher viele Taschen Obst nach Hause ins Seminar und lagerten sie in „Galgen“. So wurden die Kleiderkästen genannt, die vor den Betten standen. Es waren Holztruhen, hinten mit einem Brettergestell zum Aufhängen der Kleider versehen.
    Jeder Schlafsaal hatte seinen Namen. Die Neulinge (1. Jg.)  schliefen im „Paradies“, daneben der 2. Jg. Im „Pferdestall“, der 3. Jg. im „Gaspalast“, der 4. und 5. Jg. bewohnte Einzelzimmer, die sogen. „Fuchslöcher“ für je 2 Mann.
    Die Betten im Schlafsaal waren zumeist durch spanische Wände abgeteilt. Bischof Dr. Weber ließ nach seiner Ernennung das Seminar renovieren. Dabei wurden in den Schlafsälen durch Zwischenwände aus Sperrholzplatten Einzelkabinen geschaffen. Durch ein Tunnel unter dem Seminar führte die Eisenbahnlinie Leitmeritz - Mělník. Der kurz vor 5 Uhr durchfahrende Zug weckte uns schon vor dem Läuten zum Aufstehen. Zweimal wurden wir mitten in der Nacht geweckt. Einmal hatte sich der Hausdiener versehen, ein anderesmal der Rektor. Seine Uhr blieb stehen, er erwachte und glaubte, der Hausdiener hätte es verschlafen. Er ging selber läuten. Es war jedoch erst nach 2 Uhr nachts. Wir kleideten uns an und gingen in den Studiensaal. Dann kamen wir aber auf den Irrtum und legten uns wieder ins warme Bett.

    Die Küche des Seminars versahen 3 Boromäerinnen mit Hilfe einiger Laienkräfte. Die Kost war reichlich und sehr gut. Oft gab es Obstkompott, an Festtagen für jeden ein kleines Fläschchen süßen Rotwein. An manchen Tischen blieb oft Kompott übrig. Wir liessen es uns zuschieben und hielten uns tapfer dazu. Unser Freund Reichelt, der Landpfarrer, war ein besonderer Freund von Suppe. Einst (es war gerade Tischlesung), schob man ihm, durch Winke  verständigt, von allen Tischen die Suppentöpfe zu, sodaß unser Tisch sie kaum faßen konnte.
    Die Seminarvorsteher aßen mit uns an einem besonderen Tisch. Der Vicerektor trank zum Mittagessen regelmäßig eine halbe Flasche dunkles Bier, die andere Hälfte blieb in der Flasche am Tisch stehen. Wir meinten, es sei schade um den Rest des Bieres und nahmen eines Tages die noch halbvoll dastehende Flasche an uns. Nachher kam „Max“, der 2. Hausdiener, und schlug Lärm. Jetzt erst erfuhren wir, daß der Vicerektor den Rest des Bieres zum Abendessen austrank. Also hieß es eine neue Flasche bezahlen.


    Während der Mahlzeiten wurde meistens vorgelesen,  wobei in den ersten Jahren die Weltgeschichte von Weiss und die Geschichte der Päpste von Pastor. Unter dem Rektorat von Kan. Dr. Wagner (seit 1933) kamen auch wertvolle Romane (Shuhan, mein neuer Kaplan u. a.) zur Vorlesung. 2x wöchentlich war čechische Lesung, doch nur über einen Teil der Mahlzeit, dann gab der Rektor das Zeichen zum Aufhören. Dies galt auch an den Ausgangstagen für die deutsche Lesung.
    Die Namenstage der „Vorsteher“ wurden auch im Speisesaal begangen. Die Küche bot einen besonderen Festtagsschmaus, der Sängerchor brachte Männerchöre zum Vortrag und das Seminarorchester spielte auf, sogar einen Schlagertango, was jedoch die Vorsteher kaum ahnten. Am Vorabend des Namenstages des Rektor versammelten sich die Theologen vor der Wohnung des Herrn Prälaten im 2. Stock, der Kommunpräfekt ging zu ihm hinein gratulieren. Dann kam Rektor Dr. Albert vor die Türe und der Sängerchor brachte ein Ständchen dar. Die darauffolgende Bedankung durch den Rektor kannten wir bald auswendig. Es hieß: „Also ich danke schön, ich danke schön. Schön haben’s gesungen, pflegen sie den Gesang, der Gesang veredelt, der Gesang erhebt das Gemüt. Ich habe in meiner Jugend auch gern gesungen - und ich muss sagen, ich war ein guter Sänger. Also schön haben’s gesungen, ich danke schön, ich danke schön.“ Und mit einem freundlichen Händewinken wurden wir entlassen. Beim P. Spiritual wiederholte sich das Zeremoniell. Am Schluße seiner Dankrede pflegte P. Scherb zu sagen: „Also, meine Herrn, ich werde mich ’rächen’ “. Damit war das Festmal gemeint, wozu untrennbar auch eine Jause gehörte, bei der Semmeln mit Fischbutter geboten wurden.